Michael Fehr (CH) Jurydiskussion

Die Performance des Schweizers Michael Fehr lieferte viel Gesprächsstoff. Der blinde Autor bekam den Text via Kopfhörer vorgelesen und gab ihn im Vortrag wieder. Er wurde von Juri Steiner eingeladen.

Michael Fehr (Bild: ORF)Michael Fehr (Bild: ORF)

Fehr las einen Auszug aus dem Roman „Simeliberg“. Die Diskussion drehte sich irgendwann denn auch um die Frage, wie beim Bachmannpreis in Zukunft mit der Reoralisierung von Literatur umgegangen werden könnte, während man selbst noch „Papier-fixiert“ sei (Spinnen). Juri Steiner begann auch gleich: „Sie sehen, es ist etwas faul in diesem Loch, in das ein Gemeindevertreter hinab muss, weil eine Frau verschwunden ist.“ Nach einem Kompetenzkonflikt begebe sich der Verwalter auf eigene Faust zum Loch und stoße dort auf eine paramilitärische Vereinigung von Studenten. Steiner erläuterte den Titel „Simeliberg“, der einerseits „Simsalabim“ sei, andererseits an das Guggisberg-Lied der Schweizer erinnere, ein „altes Volkslied in E-Moll“, das verboten wurde, weil es die „Schweizer Krankheit“ auslöse, die „Melancholie.“

Michael Fehr versuche mit seinen Worten „eine Welt heraufzubeschwören“, „diese Vision ist manchmal paranoid“ und fast wie ein „Polizeiprotokoll“, und führe mitten hinein in das Schweizer Zeitgeschehen und dessen Lebensrhythmus. Er sei „sehr glücklich“, dass der Autor das Risiko eingegangen sei, nach Klagenfurt zu kommen. „Eine Freude, ihn hier zu sehen und zu erleben“, so Steiner.

Arno Dusini (Bild: Johannes Puch)Arno Dusini (Bild: Johannes Puch)

Winkels gereizt von "Schweizer Rohheit"

„Ganz meinerseits“, meinte daraufhin Hubert Winkels. Der Text behaupte ein Auszug zu sein, er hege aber den Verdacht, dass sein eine Finte. Dieser Text liege „voll und ganz“ vor der Jury, der Witz dabei sei, dass dessen Schwächen mit dessen Stärken „zusammenfallen“ würden, so Winkels gereizt von so viel „Schweizer Rohheit“. Hier werde Schwarz-Weiß-Malerei betrieben, wobei einem aber im selben Momenten einfalle, dass die Personen Schwarz, Weiß und Griese heißen, also Grau. „Sehr eindrucksvoll“, so Winkels. Später sollte der Juror noch ergänzen, dass die Versform des Textes allein dem Umstand der „Übersetzung“ des Textes durch technisches Gerät geschuldet sei. Der Autor spreche seine Sätze in ein Diktiergerät, die dann zu Papier gebracht würden – was die besondere Form generiere.

Gefaktes Nationalepos

Als Leser gerate man hier in eine „medienabhängige Schleife“ des Verstehens, eine „bizarre Konstellation“.
Daniela Strigel witzelte: „Ich dachte, die Österreicher sind für den Keller zuständig, dem ist nicht so.“ Das sei ein „Schweizer Bauerntheater“, in dem es um einfache Leute gehe, das aber nur auf den ersten Blick „einfach gemacht“ sei. In Verse gesetzt, weise der Text eine komplexe Struktur auf: Wie eine Art „gefaktes Nationalepos“. „Gottseidank ist Hubert Winkels immer klüger als der Autor und glaubt nicht immer alles, was da steht“, griff Striegl die Frage nach der Auswahl der Textauszüge wieder auf. Ein Themenkomplex sei die Sauberkeit, das Loch sei „dreckig und finster“, von Griese selbst heiße es: „in dreckigen Gummistiefeln, sonst anständig“. Ihr Urteil? „Sehr originell, gerade weil es mit Klischees hantiert“.

Winkels, Feßmann, Keller (Bild: Johannes Puch)Winkels, Feßmann, Keller (Bild: Johannes Puch)

"Bin Text auf den Leim gegangen"

„Also ich bin dem Text auf den Leim gegangen“, begann Meike Feßmann. Beim Lesen habe sie darin „nicht viel erkennen“ können. Festgehalten habe sie sich einzig an dem Wort „Weltraum-Euphorie“, das habe sie „rausgeschossen“ aus der Geschichte, die von einer „Welterweckungsbewegung als narzistische Welteroberung“ erzähle.

Arno Dusini wollte sich gleich als erstes für den Text bedanken: „Ein sehr beeindruckender Text“, der ihn an die Situation beim Bachmann-Preis erinnere. Ein „Schreibprojekt“, eine Form von Poetik, die stark über die Phonetik des Textes laufe. Die Gefahr dabei? „Überartikulation“.

"Sachverhalte werden verwischt"

Ganze Passagen würden nur als „I-E-Struktur“ funktionieren, so Dusini, der Beispiele aus dem 15. Kapitel zum Besten gab. Trotzdem suggeriere das eine Affinität und einen Echoraum zwischen den Worten, der interesssant sei. „Das kennt man aus Ernst Jandls Etüde in F“. Ein Problem sei aber der Erkenntnisgewinn, hier würden Sachverhalte „verwischt“ (Sozialarbeit, Nationalität, Rechtsextremismus): Die Schweiz könne das Kapital des Skurrilen haben, dabei stelle sich aber die Frage: Wie verhält sich die Poetik zu ihrem Gegenstand?

Fehr Protagonist der "Spoken Word" Szene

Hildegard Elisabeth Keller erläuterte, dass man es hier mit einer Form zu tun habe, die gerade in der Schweiz eine Blüte erfahre. Fehr sei Protagonist einer performativen „Spoken Word“-Szene. „Fehr mache „Sprache zu einem langsamen Tier“, das auch „komplexe Bewegungen“ ausführe. Die Sprache sei darauf angelegt, auch über nationale Grenzen hinweg wirken zu können. Diese „Umrisse eines Krimis“ stünden in einer guten Schweizer Tradition, „sehr beeindruckend“.

Die „deutsche Zentrale für Sprachkontrolle übt Druck aus“, meinte daraufhin Daniela Strigl. Das Schweizerische und Österreichische seien davon betroffen, hier werde deutlich, dass der Text durch seine feine Ironie des Textes gar nicht affirmativ“ sein könne. Hier widersprach Spinnen: "Die Zentralmacht des Hochdeutschen herrsche auch über das Sächsische, Rheinische, Niederdeutsche - Österreich und die Schweiz halten sich da noch am Besten." Strigls Replik: "Der Unterschied liegt wohl darin, dass das Dialekte sind - das Österreichische und Schweizerische sind Hochsprachen."

"Spannungsfeld" zwischen Text und Vortrag

Für Spinnen stand der Auftritt im "Spannungsfeld" zwischen dem geschriebenen Text und dem Vortrag, ein "Textkörper, der uns als Klang gegeben worden ist." "Das hört sich an wie eine richtige Sprache, nicht wie das was ich spreche, sondern das bringt Stallgeruch und Erdwärme, die Identität von Person und Sprache" mit sich. Die Frage sei aber: "Was ist kodifizierbar - ohne Vortrag?" Er habe eine "Differenz zwischen dem Lesen und dem Höreindruck im Kopf": "Schweiz kann ich nicht." Der Text werde, erst als Hör-Cd angelegt, "ganz".

"Sei weisen zu Recht auf die Defizite des Textes hin", gab Hildegard Elisabeth Keller dem Juryvorsitzenden Recht. Man habe es jedoch mit literarischen Formen zu tun, die in sich ´"multimedial" wären. Diese Suche nach einer eigenen Sprache sei "nicht national gebunden".

"Was ist Basis unseres Urteils?"

Meike Feßmann zeigte sich ebenfalls neugierig auf die "Kippfiguren" des Textes. Der Texte ändere sich durch den Vortrag, zuerst habe sie beim Lesen noch spöttisch bei sich gedacht, es gehe beim Zeilenumbruch um einen verfehlten Versuch der Rhythmisierung. Nur geschrieben ein "schlechter Text", was jedoch durch den Vortrag "unterwandert" werde. In einem anderen Medium - der Sprache - werde der Text "transformiert, die Frage sei jetzt nur: "Was ist Basis unseres Urteils?"

"Schockiert" über zweiten Diskurs

Juri Steiner meinte: "Heute früh hat Burkhard Spinnen Gemälde angesprochen, mit denen die Konventionen verlassen werden. Das hat mit den Techniken zu tun, die es dem Autor erlauben, seinen Text in Form zu bringen. Der erste Diskurs hat mir gefallen, dieser hier schockiert mich - ich weiß nicht genau, was damit anzufangen ist". Der Text kreise - wie im Videoporträt angesprochen - um das wahrgenommene "Wunder der Artikulation" und erzähle damit eine existenzielle Geschichte. Das alles habe mit "Atem, mit Rhythmus" zu tun und funktioniere synästhetisch.

Re-Oralisierung: "Wir sind Papier-fixiert"

"Wir werfen hier nicht mit faulen Eiern oder Tomaten", widersprach Burkhard Spinnen. Vielmehr gehe es darum, sich darüber Gedanken zu machen, wie in Zukunft mit solchen Texten und einer ins Gesprochene rückgeführten Literatur, umzugehen sei. "Wir sind hier Papier-fixiert", stellte Spinnen fest.