Benjamin Maack (D) Jurydiskussion

Benjamin Maack aus Hamburg wurde von Hubert Winkels nominiert. Er las den Text "Wie man einen Käfer richtig fängt" von Joachim Kaltenbach. Die Jury diskutierte angeregt und angetan vom Text, der sich von der "Kindheit des Dr. Mabuse" zu einer Idylle wandelt.

Benjamin Maack (Bild: Johannes Puch)Benjamin Maack (Bild: Johannes Puch)

Die Jagd auf Käfer, blaue Käfer zumal, ist die Leidenschaft des Schülers Joachim Kaltenbach. Kathrin, die nebenan wohnt und in dieselbe Schule geht, auch - doch die ist, anders als die „Kerfe des Waldes“ - unerreichbar für den adoleszenten Jüngling, der die Aufklärung noch vor sich hat.

Steiner: Man denkt an Dr. Mabuse als Kind

Juri Steiner machte zum ersten Mal seit Beginn des Bewerbes den Anfang: Er habe beim Lesen des Textes dauernd gedacht auf der falschen Fährte zu sein, bis ihn das eingespielte Autorenvideo eines Besseren belehrt habe: „Haben sie sich jemals gefragt, wie Dr. Mabuse als Kind war?“ Das hier sei so ein Junge, der am besten von Peter Lorre gespielt werden könnte. Ein Spiel mit „Gut und Böse“, das in seiner oszillierenden „Doppelbödigkeit extrem wohltuend“ sei. „Das ist wie ein Käfer, grün-gülden schmimmernd und immer anders - je nachdem, zu welcher Tageszeit der Text gelesen wird.“

Spinnen: Von der grauenhaften Biomasse zur Idylle

"Ich bin noch nicht zu einer Wertung vorgedrungen“, begann Burkhard Spinnen. "Wieder habe man es mit einer Idylle zu tun. Der Text bringt uns an einen Punkt wo man glaubt, die Mutter wird ihn jetzt gleich dazu bringen, Käfer zu essen". Eine „grauenhafte Biomasse“, die sich "verweigert", „Wörter wiederholt“ und dennoch bekommt der Text am Ende „die Kurve“, wird versöhnlicher: „Die Kindheit des Dr. Mabuse verwandelt sich in eine nur-noch-schwierige Kindheit“, der Text in ein anderes Genre. Auch wenn er „500.000 Einwände gegen den Text vorbringen" könne sei festzustellen: „Es gibt die Idylle als Intention in der Literatur wieder, auch wenn sie sich durch schlecht schmeckende Reisberge fressen muss“.

Keller, Steiner (Bild: Johannes Puch)Keller, Steiner (Bild: Johannes Puch)

Keller fühlte sich an den Orgasmus-Forscher Kinsey erinnert

„Ein Jungforscher“, erinnerte Hildegard Elisabeth Keller an die Anfänge des Sexualforschers Dr. Kinsey, der in seinen Anfängen Gallwespen untersuchte. Eine skurrile Geschichte: Der Vater erklärt dem Sohn die Welt aus dem Fernsehen, die Mutter verliert niemals die Fassung. Eine „polyphon-autistische Welt“, wobei auch sie die von Spinnen angesprochene „Kurve“ am Ende extrem überrascht habe. „Das alles mündet in scheinbarer Harmonie“, wobei: „Ich bin mir nicht sicher, ob das so gelungen ist“.

Meike Feßmann (Bild: Johannes Puch)Meike Feßmann (Bild: Johannes Puch)

Für Feßmann eine Tragikomödie

„Die Tragikomödie eines heranwachsenden Knaben“ urteilte Meike Feßmann. Dessen Forscher-Dasein erfülle einen ganz bestimmten Zweck: Kathrin zu verführen, dabei kenne er sich bei Insekten gar nicht so gut aus. Ein völlig unbedarfter Knabe, was seine Reaktion auf das youtube-Video zeige und der Umstand, dass er das Wort „Fucking“ nicht richtig auszusprechen imstande sei – während seine Klassenkameradin schon ihre Menstruation bekomme. „Der Text ist ein paar Sätze zu lang. Schön ist das Bild von der Brotdose als Symbol der mütterlichen Liebe, die zwischen den beiden am Tisch steht.“ Am Ende werde die Mutter durch das in den Wald nach gerufene „Ich liebe dich“ erneut zur Witzfigur.

Winkels: Eine Emanzipation die scheitert

Hubert Winkels wollte sich vielem anschließen, folgte dann aber doch einem eigenen Strang: „Das ist eine Emanzipationsgeschichte“. Es beginne mit einem Normenkatalog und gehe dann auch um das Schaffen eigener Normen, wobei das alles gründlich schief gehe. „Die Käfer sind ein Freudsches Übergangsobjekt und an das eigentliche Liebesobjekt, Kathrin, gekoppelt." Der Text erzähle vom Versuch der Emanzipation des Protagonisten von dessen Mutter und seinem Scheitern. „Eine mitreißende Gestalt, kein Mabuse, sondern ein scheiternder Junge, der an extremer Grausamkeit anstreift“.

„Am Ende geht es zurück in den Wald, da kommt noch was“, wollte Juri Steiner seine Mabuse-Theorie erhärten. „Ein summender Text“, begann ein durchaus zufriedener Paul Jandl. Sein Schluss: eine Idylle, über die man „lange nachdenken“ könne. Die Geschichte eines „bösen Kindes“, die „gar nicht so sehr aus der Welt gefallen“ sei. Interessant sei die Familienkonstellation, eine „wunderbar gemachte“ Geschichte, auch in den Details.

Strigl erinnerte an die übel beleumdeten Insektenforscher

Daniela Strigl, „froh, dass schon so viel gelobt wurde“, kam auch auf ein paar negative Details zu sprechen. Der Insektenforscher sei nämlich von jeher ein Übel beleumundeter Zeitgenosse, dazu müsse man nur an Ernst Jünger denken. Insofern sei klar, wo das Ganze hinsteuere, „Ich habe mir dann aber von der Geschichte erklären lassen, dass man daraus noch etwas anderes machen kann.“ Eine „Erlösungsgeschichte“ wie bei Verena Güntner sei das. „Die Voraussetzungen einer "Dr. Mabuse-Karriere zu entkommen“ seien angesichts der fürsorglichen Eltern gegeben.

Spinnen: Vorpubertät mit psychotischen Zügen

„Ob Mabuse nun im Hintergrund steht oder nicht, das geht über das Normalmaß hinaus“, meinte Burkhard Spinnen. Diese Vorpubertät zeige „psychotische Züge“, auch in der absoluten Kommunikationsverweigerung des Jungen. „Ein Gefährdungsfall ist das schon, eine Art Zeitreise, von der Pubertät bruchlos in die Psychose“. Die Mutter behalte dabei immer die Nerven und der Vater betreibe Lebensbewältigung via Fernsehen: „Eine Idylle“, so Spinnen.

Hubert Winkels ergänzte noch: Allein der Umstand, dass der Satz „Ich liebe dich“ in postmodernen Zeiten mit einer solchen Wucht daherkommen könne, wo er doch eigentlich seit Umberto Eco als literarisch tot zu gelten habe, bezeuge die Qualität des Textes.