Heinz Helle (D) Jurydiskussion

Heinz Helle, der von Daniela Strigl vorgeschlagen wurde, las seinen Text "Wir sind schön". Der in Biel/Bienne lebende deutsche Autor wurde äußerst positiv von der Jury aufgenommen und besprochen.

Heinz Helle (Bild: Johannes Puch)Heinz Helle (Bild: Johannes Puch)

„Was für ein wunderbares Ende des zweiten Lesevormittags: ein wunderbar verschachtelter Text, eine wunderbar verschachtelte Diskussion der Jury“, beendete Moderator Christian Ankowitsch diesen zweiten Klagenfurter Lesevormittag.

„Wir sind schön“ erzählt von den Phasen emotionaler Abkühlung zwischen Mann und Frau: vom Einander Lieben bis hin zum Einander Gleichgültig-Sein.

Keller: Text fließt permanent dahin

„Manchmal ist das Glück was die Auslosung der Lesereihenfolge betrifft besonders gnädig“, begann Hildegard Elisabeth Keller. Dieser zweite, von Daniela Strigl eingeladene Text sei seiner Grundstruktur her dem ersten, Cordula Simons, verwandt: es gehe um das Geboren-Werden, den Wunsch, das eigene Leben mitzugestalten. Die Geschichte einer Liebe in Zeiten der Selbst-Werdung. Geschrieben in einer reduzierten Sprache, „fließe“ der Text permanent dahin, trotz seiner teilweise stakkato-artigen Hauptsätze. In seiner Verknappung sei das „sehr gelungen“, ein „cooles, zeitgenössisches Ich“, das eigentlich nichts mehr will.

Für Winkels funktioniert Text wie Rolltreppe

Der Text funktioniert selbst wie eine Rolltreppe, meinte danach Hubert Winkels. Das sei das Ende einer Liebe im „Zeitraffer“, die Figuren würden das sein wollen, was andere denken. „Sehr puristisch auf hohem Niveau“, ein „Machwerk“ weil von Beginn an sichtbar werde, worauf das hinauslaufe. Gleichzeitig erlaube sich der Texte jedoch auch verheerende Fehler, wenn er zu psychologisieren beginne. Hier lege der Autor „Sprengsätze“ an den eigenen Text, so Winkels. Der Protagonist verhalte sich nach einer Art „auswendigem“ Prinzip: Breche also in Jubel aus, wenn er glaube, dass das angebracht sei und allgemein so erwartet werde. Ähnlich verhalte er sich in der Beziehung - er sei quasi "von außen gesteuert".

Meike Feßmann (Bild: Johannes Puch)Meike Feßmann (Bild: Johannes Puch)

Ein phlegmatisch-hübscherText für Jandl

„Geschenkt“, meinte Paul Jandl darauf: "Ein phlegmatischer Text über einen phlegmatischen Fußballfan, der mich - warum auch immer - sehr anzieht“. „Wunderbare Sätze“ gebe es darin, mit denen man sich denken könne, wie alles ausgeht. „Die Löffelchen-Stellung als finaler Kriminalschauplatz einer Beziehung“. „Schöne Szenen, ein hübscher, gelungener Text“ über das „Phlegma als Selbsttröstung“ schlechthin.

Feßmann: Unentschlossenheit als Pointe des Textes

Meike Feßmann meinte, ein Entscheidungsproblem des Protagonisten erkannt zu haben: Er wisse einfach nicht, zu wem er gehöre, sei zwar geneigt mit der Freundin zusammenzubleiben, fühle sich jedoch mehr zur „männlichen Kohorte“ hingezogen, die die „Dumpfheit probt“ wie etwa bei der Fußballszene. "Er hat aber nicht den Mumm das zu sagen". Diese Unentschlossenheit sei die Pointe des „Romans“, der auch ein „Generationenporträt“ sein könnte.

Steiner: Idyll des guten Lebens als Negativfolie

Die Welt im Sinne des Textes werde doch erst dadurch ausdenkbar, weil man in einer zivilisierten Gesellschaft wohne, in der es keine gröberen Probleme gebe, begann Juri Steiner. In Hinblick auf das Porträt des Autors, der in Biel mit seiner Familie lebe, werde das Idyll des guten Lebens als Negativfolie zum Text sichtbar. „Er (Anm: der Protragonist) spielt eine Art Versteckspiel, alles wissen, alles haben, aber nicht können und wollen.“

Burkhart Spinnen (Bild: Johannes Puch)Burkhart Spinnen (Bild: Johannes Puch)

Spinnen: Intelligent und subversiv

„Ein sehr intelligenter Text, den man nicht intensiv genug lesen kann“, sagte Burkhard Spinnen und versuchte, ein Koordinatensystem aufzustellen: Das sei ein Text über Lieblosigkeit, das Fehlen von Liebe, das sich in unendlich vielen Kleinigkeiten zeige. Bereits auf der ersten Seite sei eine fundamentale Familienkritik nachzulesen. Kinder zu haben sei deutlich teurer, als Kinder zu bekommen und mit der Karriere sei es danach auch vorbei - das sage einem vorher nur keiner. Der Figur lege das den Schluss nahe: „Würde die Familienpolitik in diesem zivilisierten Land funktionieren, müsste ich nicht lieblos sein“. Zwar reize der Text seinen „roten (Korrektur)-Stift“, punkte aber durch sein intelligentes, subversives Konzept, für seine lieblose und phlegmatische Haltung auch mit einer Begründung aufwarten zu können.

Jury in Opposition zu Spinnen

Eine Idee, mit der seine Kollegen, allen voran Hubert Winkels, wenig bis nichts anzufangen wussten. "Ob das so sehr ins Soziale ausschlägt?“, zweifelte auch Paul Jandl. Diese Lieblosigkeit sei doch im Sinne der heutigen Psychologie eher eine Art Autismus. „Ich weiß nicht, was das mit Familienpolitik in Deutschland zu tun haben soll“, meinte auch Hildegard Elisabeth Keller.

Strigl: Einer der agiert wie ein Abziehbild

Schließlich war Daniela Strigl an der Reihe: „Ich hätte viel zu sagen, kann aber nicht alles loswerden“. Ein Text „über den Fluch des Individualismus im Massenzeitalter“, der tatsächlich den Text Cordula Simons auf gewissen Weise ergänze. "Einer, der versucht sich individuell zu verhalten, aber wie ein Abziehbild agiert." Die Erzählposition unterlaufe sich immer wieder selbst, was das von Hubert Winkels kritisierte Psychologisieren erkläre: „Es ist das Kaleidoskop einer Trennung, erzählt im historischen Präsens, weil das gemeinsam Erlebte wieder präsent gemacht wird. Im Nachhinein wird bei aller Lethargie nach einer Erklärung für all das gesucht, was falsch gelaufen ist.“ Die Protagonisten würden an ihrer Sprachunfähigkeit scheitern: „Wie, wenn fremde Volksstämme miteinander verhandeln“, so Strigl. „Es geht darum, wie man leben soll. Da ist eine Wut, die den Floskeln der Paartherapie entspricht – und nicht einmal die ist authentisch.“ Das sei bis ins Kleinste raffiniert gemacht, die Kommentare würden dabei nicht stören, sondern plausibel zusammenfassen, was in der Beziehung nicht funktioniert habe, so Strigl, die Parallelen zu Peter Sloterdijks „Kritik der zynischen Vernunft“ zog.

Feßmann: Merkantile Form der Ironie

Da schaltete sich Meike Feßmann wieder in die Diskussion ein, um den Unterschied zwischen den Kynikern und den Zynikern im Sinne Sloterdijks zu erläutern: Die Figur sei gar nicht mehr zur Ironie fähig und wisse das auch, weil sie nur noch die merkantile Form der Ironie für sich beanspruchen könne. "Er kann nicht kritisch sein, weil er längst Teil des Marktes ist", so Feßmann.

Da fühlte sich Spinnen angesprochen: „Bei Sloterdijk steht auch, dass jeder Idealismus sich selbst widerlegen muss“. Das sei das „Widerlegen eines idealistischen Lebenskonzeptes“, und „alles andere als merkantil“. Auch er sah den Grund für das Scheitern dieser Beziehung in den „scheiternden Gesprächssequenzen“ der Figuren, denn es heiße schon bei Musil, dass ein großer Teil der Lieblosigkeit aus „Redseligkeit“ bestehe.