Verena Güntner (D) Jurydiskussion

Die Deutsche Verena Güntnter las ihren Text "Es bringen". Die Rollenprosa eines 16-jährigen Jungen aus dem Plattenbau wurde von Paul Jandl zum Wettlesen nach Klagenfurt eingeladen und nahm die Jury zu großen Teilen für sich ein. Ein erster Favorit?

Verena Güntnter (Bild: Johannes Puch)Verena Güntnter (Bild: Johannes Puch)

"Eine freudianisch geprägte Debatte, trotz der Unterzahl der österreichischen Juroren“, freute sich Moderator Christian Ankowitsch.
„Vielen Dank für die schöne Geschichte“ hieß es gleich zu Anfang von Hubert Winkels. Hier habe man es mit echter Rollenprosa zu tun, der Ton der Kindheit und Jugend sei schwierig, werde aber nichtsdestotrotz exakt bis zum Ende durchgehalten.

Winkels: Gut getroffen

Gut getroffen sei er, dieser „pseudoverwahrloste Junge“. Für Winkels besonders faszinierend: wie mit reiner Rollenprosa der Adoleszenzkonflikt beschrieben werde. Der Junge schwanke zwischen gesellschaftlichen Normen und den eigenen Wünschen hin und her. Sein immer wieder beschworener „Plan“ und der Trainer sei das gesellschaftliche Agens, das „Ich“ sei „die Mannschaft“ – ICH, ES und ÜBER-Ich Freuds fänden sich auf diese Weise in der Persönlichkeit des Jungen dargestellt. “Großartig, das gefällt mir“.

Keller: Aus dem Leben gegriffen

„Ein 16-jähriger Typ“, begann Hildegard Elisabeth Keller. Ganz einfach und unaufdringlich, höre sie diesem sehr gerne zu. Sein Tonfall sei „aus dem Leben gegriffen“ und gefalle ihr sehr gut. Sie sehe ihn, Luis, regelrecht vor sich mit seinem „gewetzten Schnabel“ und nehme ihn deshalb auch ernst. Interessant sei auch seine Lebensauffassung, ein Weiser werden zu wollen, dabei aber nicht „zu klug“ zu sterben. „Er ringt um Mut und spielt mit dem eigenen Leben“ - das „rosa Mädchen“ am Gipfel des Nebelhorns erkenne das. „Ich würde hier gerne weiterreisen“, so Keller auf den fertigen Roman anspielend.

Paul Jandl (Bild: Johannes Puch)Paul Jandl (Bild: Johannes Puch)

Feßmann: Eine tolle Idee

Auch Meike Feßmann unterstützte die positiven Wortmeldungen ihrer Kollegen. Eine „tolle Idee“ sei es, dass der Junge mit einem Messer an seiner Haut schabe, weil er mehr über sein eigenes Inneres, seinen eigenen Körper wissen wolle. Ein wunderlicher Mensch sei das, dessen Geschichte jedoch nicht eindimensional werde, sondern zur Initiationsgeschichte „mäandere“. „Dezent“ und dabei doch in seiner sexuellen Konnotation „symbolisch deutlich“ sei es, wenn beschrieben werde, wie dem Ersatzvater die Ader schwelle, weil der Junge bei der Fahrt auf das Nebelhorn fünf Mal vorgebe aufs Klos zu müssen, und der Ersatzvater jedes Mal zum anhalten gezwungen sei. „Schön gemacht“, so Feßmann, gefallen habe ihr auch, dass die Mutter eine „lässige Person“ sei und damit nicht dem typischen Plattenbauten-Klischee entspreche. „Eine schöne runde Geschichte, die auf dieser Strecke sehr gut funktioniert.“

Steiner fühlte sich an den Fänger im Roggen erinnert

Juri Steiner fühlt sich an Holden Caufield von J.D. Salingers „Der Fänger im Roggen“ erinnert – „bis auf eine Verschiebung: die Verwahrlosten sind hier die Eltern.“ Den „Trainer“ gebe es auch beim Fänger im Roggen, das Kratzen an der Haut sei die Suche nach der eigenen Zärtlichkeit, Zartheit der Haut. Auch die Beziehung zur Mutter erzeuge „Wärme“, der 16-Jährige sei „authentisch, glaubhaft“ dargestellt.

Meike Feßmann (Bild: Johannes Puch)Meike Feßmann (Bild: Johannes Puch)

Hier schaltete sich Hubert Winkels wieder ein: "Er möchte etwas aus sich herausholen und am Ende hat er die Finger in den Speckrollen der Dicken!" „Löcher spielen hier offenbar eine Rolle“, begann Daniela Strigl maliziös. Die versuchte Introspektion würde jedoch kippen, wenn es heiße: „Meine Innereien sind zurzeit mein Leck“, soweit komme der Protagonist ja gar nicht. Der Ton sei aber sehr gelungen, das „Ich als Mannschaft“ überzeuge sie. Es sei der Versuch zu ergründen, wie Welt funktioniere. Auch die Aggression des Jungen werde überzeugend gezeigt.

Jandl: Grandios

Paul Jandl zufolge geht es in der Geschichte um den Kipppunkt zwischen Kindheit und Erwachsen-Sein. Auf allerengstem Raum werde hier die Geschichte des Jungen als 16-Jähriger und als Zwölfjähriger aufgerollt, und zwar mit „großartig gelungenen Motiven und Bildern“. Der 16-Jährige besitze zudem die Sprache für das, was der Zwölfjährige noch nicht ausdrücken könne. Auch die von Hubert Winkels angesprochene Freudsche Trias sei drin im Text. Die kraftmeierische Sprache, das Changieren zwischen Kraft und Zärtlichkeit das „Ping Pong der Gefühle“ spiegle das Erwachsen-Werden des Jungen wider, der seine Gefühle in die Welt projiziere - "grandios".

Spinnen stellte den Text in Frage

Burkhard Spinnen wollte nicht mit seinen Kollegen mit und stellte den "handwerklich gut gemachten" Text in Frage, denn: „Das handwerkliche Gelingen muss transzendiert werden“. Das alles habe er schon hunderte Male gelesen, der Texte erzähle ihm nichts Neues. Dessen Tonfall sei „süffig“, auch wenn er weder oben noch unten „anschlage“: „Das Vehikel ist großartig, aber was transportiert das? Ich muss mehr wissen, als dass der Junge mit seiner Mutter gegen die Hilfsväter und Sportlehrer kollaboriert. Eine „große Rampe“, ein „toller Audi“, aber „wo fahren wir hin“?, so Spinnen.
Dem pflichtete Meike Feßmann dann doch teilweise bei: Das Handwerk sei das eine, dann müsse aber noch etwas anderes kommen. „Die eigene Stimme der Autorin höre ich nicht“. Winkels und andere widersprachen erneut: Solle man bei dieser Rollenprosa ja auch nicht.