Michel Bozikovic (CH) Jurydiskussion

Michel Bozikovic, der auf Einladung von Elisabeth E. Keller nach Klagenfurt kam, las den Text "Wespe". Er erzählt von einem Mann, vielleicht ein "Vaterlandfeind", auf der Flucht in einem Krieg, der sich seiner Festnahme durch die Polizei widersetzt.

Michel Bozikovic (Bild Johannes Puch)Michel Bozikovic (Bild Johannes Puch)

 

Videoporträt
Lesung
Diskussion

 

Winkels: Erinnerung an Hemingway

"Um mit etwas Positivem anzufangen: Die kurzen, rhythmischen Sätze in Gegenwartsform und  dritter Person entsprechen der Situation des Helden", so Hubert Winkels. Allerdings habe er doch diverse Probleme mit dem Text, da dieser von der existenziellen Situation der Bedrohung des Selbst "nicht mehr runterkomme". So bliebe der Story, die ihn an eine Hemingwaygeschichte "am Höhepunkt" erinnere, keinerlei Steigerungsmöglichkeit mehr. "Die Geschichte müsste da anfangen, wo Quentin Tarantino aufhört, das müsste verschärft werden" - sonst blieben nur "abgeschmackte Klischees" übrig.

Alain Claude Sulzer (Bild: Johannes Puch)Alain Claude Sulzer (Bild: Johannes Puch)

Sulzer mit "eigenwilliger" Lesart

"Das Sinfonieorchester spielt hier Fortissimo", begann Alain Claude Sulzer seine doch eigenwillige Lesart zu erläutern. Er sei sich nicht sicher, ob sich die Figur wirklich im Krieg befinde, oder ob sich nicht nur um die Imagination eines Jungen handle, der auf der Schweizer Autobahn dahin rase und sich alles nur einbilde. 

Burkhard Spinnen (Bild: Johannes Puch)Burkhard Spinnen (Bild: Johannes Puch)

Strigl: "Fluchen im Landserstil"

"Ein kühner Ansatz", setzt Daniela Strigl nach, um dem dann doch zu widersprechen. Sie fühlte sich an den Kroatien-Krieg erinnert, auch wenn Ansätze (Stichwort: Pejote) auch nach Südamerika weisen würden. Auch in Nestroys "Einen Jux will er sich machen" wolle die Hauptfigur ein "verfluchter Kerl" sein - hier generiere der Autor dasselbe vor allem durch das Fluchen seiner Hauptfigur.

Dessen Jargon sei im "Landser-Stil"  oder aber auch in ins Deutsche synchronisierten amerikanischen Kriegsfilmen anzusiedeln. Eine Sprache, die ihr jede "freundschaftliche Annäherung" an den Text "zunichte" gemacht habe. Außerdem gebe es dramaturgische Fehler: Man wisse nicht, warum die Polizei den Mann festnehmen wolle, auch im Krieg sei die Absicht zum Selbstmord nichts Strafbares. Es klinge viel an, allerdings sei das "ungeheure Tempo" des Textes durch nichts begründet.

Hier mischte sich Alain Claude Sulzer wieder ein: Die verwendete Sprache sei nicht jene des Autors, sondern Stilmittel um Gewalt darzustellen. "Ja, aber der Text schafft es nicht, sichtbar zu machen, woher das kommt", ergänzte Hubert Winkels.

Jandl: Man hat es mit einem Feigling zu tun

Paul Jandl versuchte den nächsten Deutungsvorschlag: Man habe es hier mit einem Deserteur, in Kategorien des Krieges gelesen, also eigentlich mit einem Feigling zu tun. Die behauptete psychische Ausnahmesituation in der sich der "Held" befinde, werde aber durch diese vermittelte Figur überhaupt nicht klar. "Die Reifen quietschen - wo außer im Film ist das noch zu hören?"

Hildegard E. Keller (Bild: Johannes Puch)Hildegard E. Keller (Bild: Johannes Puch)

Jury ließ sich von Keller nicht überzeugen

Lob für den Text kam natürlich von Hildegard E. Keller, die es jedoch bis zum Schluss nicht schaffen sollte, ihre Kollegen von der "äußerst präzisen" Machart des Textes zu überzeugen. Die Figur habe die ihr gemäße Sprache, die verwendeten Versatzstücke wären "ein Stilmittel". Hinter dieser "durchgeknallten", "entpersonalisierten" Figur liege "großes Chaos", wobei die Deutung in Richtung Hemingway wohl am nächsten, die in Richtung Nestroy wohl am weitesten von ihr entfernt läge. 

Die Rasanz der Sprache stelle sich in den Dienst der existenziellen Situation der Figur, die auf der Flucht sei. Die Hauptfigur sei "in Trance und Wahn, eine Ekstase" verfallen - die Wespe hole ihn in die Realität zurück und halte ihn vor dem Selbstmord ab.

Feßmann: "Der Macho mit der Wespe"

Meike Feßmann: "Das ist kein Deserteur, der meldet sich freiwillig". Unverständlich sei, dass  sich die Figur ("Der Macho mit der Wespe") dem zum Trotz trotzdem umbringen wolle: Der Jugoslawien-Krieg sei Vorwand für eine Abenteuergeschichte , die in "sentimentaler Sprache" erzählt sei und sie an die Jugendbücher der 50er Jahre erinnere.

"Also ich bezweifle, dass in österreichischen Jugendbüchern Sätze stehen wie 'Franz von Fucking Assisi", widersprach da Strigl.

Spinnen: "Geschmack muss erkennbar sein"

Burkhard Spinnen äußerte letztendlich die Befürchtung, dass der Autor womöglich einen falschen Ausschnitt seines Textes für Klagenfurt ausgewählt habe, weil zu wenig über die Intentionen der Figur deutlich werde, wandte dann aber ein: "Literatur ist wie ein Suppe, egal wo man den Löffel hineinsteckt, es müsse immer der wesentliche Geschmack erkennbar sein. Hier habe er sich vom "frei schwebenden Maskulinen" überwältigen lassen müssen.

Barbara Johanna Frank

TDDL 2011TDDL 2011