Antonia Baum (D) Jurydiskussion

Antonia Baum (D) las als letzte Autorin des ersten Lesetage s den Text "Vollkommen leblos, bestenfalls tot".

Antonia Baum (Bild: Johannes Puch)Antonia Baum (Bild: Johannes Puch)

 

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Lesung
Diskussion

 

Ich-Erzählerin fühlt sich leblos

"Ununterbrochen schlagend" bewegen sich Antonia Baums Figuren durch den Text "Vollkommen leblos, bestenfalls tot". So fühlt sich auch ihre Ich-Erzählerin, deren Eltern sich "nie" hätten "kennenlernen dürfen", die aber auch das scheinheilige Familienidyll mit Stiefmutter und Vater kaum erträgt. Die textgewordene Flucht aus dieser katastrophalen Familienkonstellation endet ebenso unglücklich.

Strigl: "Hoffentlich keine Bernhard-Parodie"

"Ich hoffe, das soll keine Thomas-Bernhard-Parodie sein", begann Daniela Strigl, "sollte es allerdings keine sein, sei der Text "erst recht verunglückt" zu nennen. Die Imitation des Thomas-Bernhardschen Stils strukturiere den Text, dem es stellenweise nicht an "satirischer Verve" fehle, weshalb ihr einige Stellen darin auch außergewöhnlich gut gefallen hätten. Einiges sei allerdings auch daneben gegangen ("Seine Zähne waren wie ein Haus"), ein weiteres Problem sei die Vorhersehbarkeit der Pointen (Hitler). Gute Ideen würden vergeudet, die Geschichte kranke an ihrer Unentschlossenheit.

Alain Claude Sulzer zog Parallelen zum vorher gelesenen Text; zu Gute zu halten sei diesem hier, dass das "Nervige der Person" auch in die Sprache überführt werde und sich die Entwicklung der Figur damit doch interessant ausgestalte.

Keller: Bewusstseinsstrom aus Taschentuchhäufchen"

Hier widersprach Hildegard E. Keller, die den "Sprung" in der Geschichte verständnislos gegenüber stand. Im ersten Teil sei die Geschichte stark aufgeladen und lege eine große Energie an den Tag, was sie eigentlich stark angesprochen habe. Allerdings versande der Drang der Figur, aus dem Elternhaus hinaus in die Welt zu kommen, im zweiten Teil.

Hildegard E. Keller (Bild: Johannes Puch)Hildegard E. Keller (Bild: Johannes Puch)

"Ein schwachbrüstiges Etwas" sei das, ein "Bewusstseinsstrom aus Taschentuch-Häufchen", so Keller.

Der Text über das "ein bisschen wütende Teenagermädchen" sei "völlig unbewusst" in Hinblick auf seine "literarischen Mittel", kritisierte Meike Feßmann.

Meike Feßmann (Bild: Johannes Puch)Meike Feßmann (Bild: Johannes Puch)

Strigl verteidigt Autorin

Hier griff Daniela Strigl verteidigend ein: Es sei beleidigend für die Autorin, wenn ihr unterstellt würde, sie setze ihre Mittel nicht bewusst ein.

Aber auch Jandl meinte nur "Stilblüten", "ausgewalzte" und "aufgebrochene" Bilder sowie "verschwurbelte Metaphern" erkannt zu haben.

Winkels: "Spätpubertäre Perspektive"

Fast schon "überpräzise" sei es, die sprachliche Nähe zu Thomas Bernhard überhaupt noch zu erwähnen, begann Hubert Winkels schließlich mit seinen Erläuterungen zum Text. Das alles verrate die spätpubertäre Perspektive, die grundsätzliche Welt-Ablehnung der Figur dem Leser.

Es sei legitim, dieses Stilprinzip nicht zu mögen; behaupten, dieses sei "unbewusst" passiert, dürfe man aber nicht. Die Idee, dass Liebe funktionieren könnte, sei überhaupt der Ausgangspunkt des weiblichen Zorns. "Eine kompakte ästhetische Einheit" sei das, deren Mittel anzuerkennen wären - die Nähe zu Thomas Bernhard müsse nicht immer mit negativen Vorzeichen versehen werden.

"Wäre Thomas Bernhard eine Frau und 18, hätte er wohl so einen Text geschrieben", meinte daraufhin Paul Jandl, dem Sulzer hinzufügte, dass der Text beim Lesen durch die Autorin für ihn an Bedeutung gewonnen habe. "Er klingt vorgetragen besser, sonst kann ich gleich Thomas Bernhard lesen".

Burkhard Spinnen (Bild: Johannes Puch)Burkhard Spinnen (Bild: Johannes Puch)

Spinnen: "schwer reparaturbedürftig"

Schlussendlich zeigte sich Burkhard Spinnen froh, sich mit seiner Wortmeldung bis zu diesem Zeitpunkt zurückgehalten zu haben. Sich in einen Text oder einen Menschen zu verlieben, sei eben nicht vollständig erklärbar: "Müssen wir uns ständig psychologisieren?" Er habe den Text mehrfach in Hinblick darauf gelesen, von der "jüngeren Generation" das gewissermaßen "nicht mehr Kompatible" der Gegenwart gezeigt zu bekommen. Lieblosigkeit und fehlende Emanzipation blieben als "Gegenwartsüberschuss" über.

Der Text sei stellenweise "schwer reparaturbedürftig", dessen literarischer Aufwand und dessen Atmosphäre gingen letztendlich in Selbstgenügsamkeiten über. "Das überläuft sich", so Spinnen.

 

Barbara Johanna Frank

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